Im ersten Teil unserer Serie sind wir auf die Ursprünge und die Wesenszüge von Achtsamkeit eingegangen und wie wichtig sie ist, wie sie sogar Einzug an Universitäten findet. Doch nicht nur privat oder während der Ausbildung ist Achtsamkeit wichtig. Es ist hinlänglich bewiesen, dass eine erhöhte Achtsamkeit auch im Berufsleben Vorzüge sowohl für den einzelnen Mitarbeiter als auch für Kollegen, den Chef, das Unternehmen als Ganzes und die Kunden haben kann. Die Auswirkungen sind allumfassend, oder um es in der Sprache der Wirtschaft zu sagen, es ergibt sich für alle Genannten eine Win-win-win-win-win-Situation. Widmen wir uns also in Teil 2 dem Thema Achtsamkeit im Berufsleben.
Gemeinhin erleben wir nicht sehr häufig, dass ein ranghoher Mitarbeiter eines großen Unternehmens viel Zeit und Energie in das Thema Achtsamkeit steckt und noch weniger, dass dieser jemand dann auch noch dafür sorgt, dass seine Einlassungen dazu sich medial verbreiten. Doch ausgerechnet Chade-Meng Tan, ein prominenter Google-Mitarbeiter der ersten Stunde, kurbelt das Thema innerhalb seiner Firma ordentlich an. Tan schrieb gar ein Buch namens „Search inside yourself“ über den Themenkomplex, woraus ein gleichnamiges Institut entstand, an dem Einzelpersonen, aber auch ganze Unternehmen Leadership-Trainings durchlaufen können, die achtsamkeitsbasierte Programme zur Grundlage haben. Sogar einen TED-Talk zu dem Thema gibt es von Chade-Meng Tan. Seiner Ansicht nach muss Achtsamkeit und Mitgefühl Spaß machen und es sollte darüber hinaus mit dem Ziel der Profitabilität vereinbar sein. Tans Ziel ist nicht weniger als der Weltfriede, und auch wenn das etwas versponnen und großspurig klingt: Haben Sie den warmherzigen Geschäftsmann erstmal zu dem Thema sprechen hören, werden Sie erkennen, dass seine Thesen Hand und Fuß haben.
Das Thema Achtsamkeit ist entsprechend längst global in großen und kleinen Unternehmen angekommen und wird als wichtiger Faktor für Erfolg, Nachhaltigkeit und Zufriedenheit wahrgenommen. Dass Achtsamkeitsübungen die kognitiven Fähigkeiten, die emotionale Intelligenz und die Konzentration fördern, ist zum Beispiel auch dem Software-Riesen SAP nicht entgangen. Entsprechend bietet der Konzern ein Programm namens „SAP for you“ an, bei dem Mitarbeiter ihr mentales und körperliches Wohlbefinden stärken. Neben Achtsamkeitsübungen für zwischendurch ergründet das Unternehmen auch alternative Methoden zur Erholung von Körper und Geist. Ein mehr als eindeutiges Zeichen, dass der Bereich Achtsamkeit und Meditation in der Arbeitswelt nicht nur Fuß gefasst hat, sondern im modernen Workflow gar ein entscheidender Erfolgsfaktor ist.
Und wer hätte vor ein paar Jahren geglaubt, dass es in Deutschland je ein hochoffizielles Ministerium für Glück und Wohlbefinden geben würde? Und doch, es gibt es, die dazugehörige Glücksministerin heißt Gina Schöler, aber, Spoiler Alert: Es handelt sich dabei um ein interaktives Kunstprojekt. Dass es vielleicht bald schon mehr Achtsamkeit in der Politik geben wird, zeigt das Beispiel Bhutan: Im südasiatischen Binnenstaat ist das Bruttonationalglück ein Staatsziel!
Es ist also nicht verwegen zu behaupten, dass Achtsamkeit im Beruf nicht nur den Mitarbeitern persönlich weiterhilft, sondern auch eine starke wirtschaftliche Komponente besitzt. Eine Struktur der Achtsamkeit in einer Firma zu etablieren, gelingt natürlich nie von heute auf morgen und sollte von oben herab vorgelebt werden. Doch was, wenn es gerade die Führungskräfte sind, die unter Stress und althergebrachten Strukturen leiden?
Auch hier gibt es spezialisierte Antworten. Ein achtsamkeitsbasiertes Bewusstseinstraining speziell für Führungskräfte nennt sich Mindful Leadership. Hierbei wird das Führungspersonal geschult, die Selbststeuerungsfähigkeit der eigenen Aufmerksamkeit zu entwickeln. Ein solches Bewusstseinsmanagement fördert kreatives Verhalten und minimiert alte, womöglich schädliche Verhaltensmuster. Nach und nach kann der Teilnehmer an derartigen Trainings seinen gesamten Führungsalltag ändern, Beziehungen zu Kollegen, Untergebenen, Kunden und Lieferanten verbessern und auch eine andere Kultur bei der Arbeit etablieren.
Verkürzt zusammengefasst geht es dabei darum, die Qualität der eigenen Beurteilungen zu verbessern und Erkenntnisfähigkeiten zu vertiefen. Über kreatives und bildhaftes Denken, systemisches Wahrnehmen und Fühlen als Erkenntnis verändert man die eigene Präsenz, das Bewusstheit und die Akzeptanz. Vorurteile werden abgebaut und die Macht der Gewohnheit – gerade bei emotionalen Entscheidungen – ausgebremst.
Doch nicht nur für Führungskräfte eignen sich Achtsamkeitsprogramme. Seit der in Teil 1 unserer Serie erwähnte Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn 1979 ein achtwöchiges Programm zur Stressbewältigung und zur Förderung der Achtsamkeit schuf, das sogenannte „Mindfulness Based Stress Reduction“ (MBSR), wird dieses weitestgehend unverändert bis heute angewandt. Noch besser: Es wird sogar von deutschen Krankenkassen anerkannt. Da ein solches Programm auch zu einer verbesserten Atmosphäre im Betrieb und zu einer gesünderen Einstellung und Erledigung der Arbeit führt, haben längst auch Unternehmer Interesse daran, so viele Mitarbeiter wie möglich ein solches absolvieren zu lassen. Denn die Erfahrung zeigt, dass durch ein Achtsamkeitstraining eine Stabilisierung des Geistes stattfindet sowie eine verbesserte Nutzung der eigenen Ressourcen, was wiederum zu einer Erweiterung der eigenen Grenzen führt. Stress wird leichter bewältigt, Belastungen können leichter abgefedert und eingeordnet werden und auch die Ansprüche an einen selbst verändern sich. Absolventen solcher Kurse sind im Nachhinein nicht selten mitfühlender, geduldiger und können sich und andere besser akzeptieren. Sie sind weniger ängstlich und seltener deprimiert oder aufbrausend, können ihre negativen Emotionen besser lenken.
Skeptischen Chefs oder Mitarbeitern lässt sich sagen, dass die Wirksamkeit derartiger Achtsamkeitsübungen längst wissenschaftlich erforscht wurde. Zahlreiche Studien kommen weitestgehend zu den beschriebenen, gleichen Erkenntnissen. Sogar die Harvard Universität veröffentlichte eine Studie, aus der hervorging, dass mit Hilfe von Meditation das Stresslevel reduziert wird, Menschen sich nachweislich ausgeglichener und entspannter fühlen und sogar ihr Immunsystem stärken. Mit Achtsamkeitsübungen und Meditationen können die Gehirnstrukturen und -aktivitäten derart beeinflusst werden, dass auch die Konzentrationsfähigkeit und das Gedächtnis gestärkt werden. Wie seriös der gesamte Bereich gehandhabt wird, beweist unter anderem die Tatsache, dass das Thema vermehrt hoch professionelle Veranstaltungen wie den „Meditation & Wissenschaft“-Kongress (30.-31- Oktober 2020 in Berlin, Stand Mai 2020) nach sich zieht.
Wollen Sie als Chef eines Unternehmens oder einer Abteilung Ihren Mitarbeitern in Sachen Achtsamkeit etwas Gutes tun, aber noch nicht gleich einen längeren Kurs oder ein Seminar finanzieren, gibt es Alternativen. Denn bereits zehn bis fünfzehn Minuten pro Tag reichen laut der Harvard-Studie aus, um positive Auswirkungen zu spüren. Es gibt Geh-Meditationen, „achtsame“ Mittagspausen, sogar achtsames E-Mail-Schreiben.
Als Einstieg kann aber auch eine App der richtige Schritt sein. Neben einigen unseriösen Anwendungen gibt es ein paar sehr fundierte und professionell strukturierte Apps. Der Vorteil: Mit diesen kann man seine Achtsamkeit orts- und zeitunabhängig schulen. Zwar kosten Kurse innerhalb der Apps oder die damit einhergehenden Abonnements Geld, der zumeist geringe Obolus erscheint jedoch im Verhältnis zu den möglichen positiven Effekten vernachlässigbar.
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